"DNA in Concert" verbindet musikalische Komposition mit Erkenntnissen der molekulargenetischen Forschung. Die molekularen Grundlagen und Prozesse des Lebens werden so ästhetisch und sinnlich erlebbar.

Das dramaturgisch übergeordnete Prinzip von „DNA in Concert“ ist, ähnlich wie die Sonatenhauptsatzform, der Fluss der genetischen Information, dessen verschiedene Prozessen und Phasen in „seasons 4 life“ dargestellt werden. Die heutige Aufführung im Rahmen des Dresdner Festivals der zeitgenössischen Musik „TonLagen“ vollzieht erstmalig diesen Fluss der genetischen Information in seiner Gänze: Von der DNA - über die RNA - zur Proteinbiosynthese – in die Stoffwechselaktivitäten der Glykolyse und des Citratzyklus - über das Netzwerk der Zelle – bis zur Replikation der DNA und der Zellteilung.

Der Zuhörer wird im Zentrum einer visuell unterstützten Klanginszenierung in genau die Zellprozesse versetzt, die sich in jedem Moment ca. 70 Millionen Mal in ihm selbst abspielen.

TRANSFER von PARAMETERN - Das Überführen molekularer Gesetzmäßigkeiten in musikalische Bedingungen

Aus Beobachtungen an der schwingenden Saite entdeckte Pythagoras die Frequenzen und Geometrie der Obertonreihe. Aus deren Zahlenverhältnissen (1:2:3:4:5:6:7 etc.) schlossen die Pythagoräer, dass sämtliche Phänomene der Natur in Zahlen zerlegbar und darstellbar seien - eine Anschauung, die zur Grundlage unserer modernen Naturwissenschaften und Technik wurde. Dieses Weltbild wird durch die Tatsache bestätigt, dass sich von dem angenommenen Urknall bis heute Elemente entwickelt haben, deren atomarer Aufbau eine Protonenanzahl von 1,2,3,4,5,6,7 etc. beinhaltet. Es ist bemerkenswert, dass in der Natur genauso viele verschiedene Elemente wie mögliche Anzahlen von Protonen vorkommen bis zum Element mit der Ordnungszahl 83 (außer den instabilen Nr. 43 und Nr. 61, beides interessanterweise Primzahlen).



Sämtliche Moleküle des Lebens, wie die DNA, sind aus Atomen der Elemente Wasserstoff (H), Kohlenstoff (C), Stickstoff (N), Sauerstoff (O) und Phosphor (P) aufgebaut. Die Natur der chemischen Bindung zwischen Atomen ist von der Anzahl der Elektronen der beteiligten Atome entscheidend. Diese Anzahlen werden Intervallen zugeordnet, H = Halbton, C = gr. Terz, N = Quarte, O = verm. Quinte, P = kl. Dezime, (S = gr. None, Fe = gr. Dezime)

In der hier vorgestellten musikalischen Modellbildung entspricht ein Intervall einem Atom/ einer Bindung. Die genetische Information der DNA ist codiert. Der Struktur der DNA hat Krigar deshalb Halbtonschritte als Grundmaß für die Organisation der Intervalle zugeordnet. Die Bindung zweier Atome wird durch die Identität (Prime) eines gemeinsamen Tones zweier Intervalle dargestellt. Pro Intervall (= Atom) gibt es vier Bindungsmöglichkeiten an Nachbarintervalle (= angelagerten Atome) - vom oberen und vom unteren Ton jeweils nach unten und nach oben.

Die Intervalle sind die Zwischenräume ihrer jeweiligen Frequenzen. Die beteiligten Frequenzen verfügen über Obertonspektren, die in ihrem Zusammenwirken innerhalb eines jeweiligen Akkordes eine spezifische Klangkonfiguration entfalten, die im Kontext dieses Werkes als Analogie zu den Aufenthaltswahrscheinlichkeiten von Elektronen innerhalb eines Moleküls betrachtet werden.



- Schaubild: Struktur der Doppelhelix am Beispiel eines Basenpaares -

Das Schaubild zeigt eine harmonische Struktur, welche die Konsistenz und Präzision der Umsetzung illustriert. Gleichzeitig steht die Musik in Beziehung zu unseren allgemeinen Hörgewohnheiten und ist sowohl verständlich und gleichermaßen ästhetisch anspruchsvoll und ansprechend.

Bei der Darstellung der Träger des genetischen Informationsflusses, den einzelnen Nukleotiden, Aminosäuren, Peptidketten und Proteinstrukturen wie auch den Stoffwechselprodukten wird das oben beschriebene kompositorische Modell konsequent beibehalten. Der Perspektivwechsel der Darstellung z. B. in den Makrobereich der Zelle wirkt sich entsprechend auf die Darstellungsparameter aus. Es treten bei biochemischen Reaktionen Intervalle hinzu, welche im 12-Tonsystem nicht vorkommen, und die die Harmonik erweitern. Dabei hat die Konsistenz der Darstellung einen hohen Rang.

Die eingesetzte 12-Kanal-Technik ermöglicht dem Hörer, sich im Zentrum des musikalischen Geschehens zu befinden, das den Fluss der genetischen Information klanglich repräsentiert. Die Proportionen der Bindungen und der räumlichen Faltung von Molekülen werden so unmittelbar erlebbar. Diese Wirkung wird durch die exakte Lokalisierung der Klänge im Raum unterstrichen. Der Hörer kann damit komplexere Klanggeschehnisse erfassen, verarbeiten und erleben.

Wenn man das Leben in das Zentrum des Weltbildes stellt, kann der Fluss der genetischen Information a priori als Prinzip für Schöpfung und Kreativität verstanden werden. Der Autor geht davon aus, dass das Begreifen dieser Bedingungen unserer Existenz nicht nur medizinisch sehr hilfreich ist, sondern auch bei entsprechender Vermittlung ein Schlüssel für die Selbstrealisation des Menschen sein kann, indem er sich seine permanente biologische Selbsterschaffung vergegenwärtigt (Autopoesis). Das Prinzip der DNA hat sich über Jahrmillionen bewährt.

James Watson und Francis Crick berichten, dass eine befreundete Malerin bei der Interpretation der röntgenkristallografischen Aufnahmen, die zur Entdeckung der Doppelhelix führten, sehr hilfreich gewesen sei. Die DNA-Doppelhelix bedeutete nicht nur eine wichtige Grundlage für die Entwicklung der modernen Biotechnologie, sondern entfaltete auch eine bedeutsame ikonographische Wirkung, deren Faszination der Forschung eine neue Richtung gab.

Heute stellen vor allem das Management, die Bearbeitung, Analyse und Interpretation der ungeheuren Fülle an Daten, die im Rahmen von Großforschungsprojekten wie dem Humangenomprojekt oder den Untersuchungen mit so genannten Hochdurchsatzmethoden wie z.B. den DNA-Chips anfallen, die Wissenschaft, und vor allem die Bioinformatik, vor bisher kaum lösbaren Aufgaben.

Eine wesentliche Erkenntnis der letzten Jahre ist, dass die Regulation der durch Proteine und RNA ausgeführten zellulären Prozesse ein funktionales Netzwerk darstellt. Die aus diesem Netzwerk heraus gelöste Betrachtung der zellulären Funktionen ergibt vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis keinen vollständigen Sinn.

Die Darstellung dieses funktionalen Netzwerkes steht noch am Anfang. "DNA in Concert" zeigt, dass das Medium Klang am ehesten den Anforderungen entsprechen könnte, die an eine künstlerische Darstellung dieses funktionalen Netzwerkes zu stellen sind.
Thilo Thomas Krigar

Zur Dialektik der Zwischenspiele.

Um vorweg zu warnen: unsere Information behandelt weder Mord noch Liebesdrama, noch Gerechtigkeit oder Moral oder andere redundante Kommunikationen und schon gar nicht ästhetische Gymnastik. Alle Lebensformen und Systeme beruhen auf Bewegung, die sich in Schlangenlinien ausdrücken, sei es in der Kunst die Schönheitslinie, die sich schon im englischen Landschaftsgarten findet, oder sei es die elektromagnetische Welle, wie sie aus der Naturwissenschaft bekannt ist.

Die sie bewirkende kinetische Energie lässt sich im Mikro- als auch im Makrokosmos beobachten. Schüler experimentieren mit den Formen der Wellenlinie, wie sie der Doppelhelix zu Grunde liegt. Im Analogieverfahren werden sie - als theatrale oder molekulare „Elemente“ - spielerisch mit- und aufeinander reagieren. Dabei werden wir untersuchen, ob das Zweckmäßige auch ästhetisch sein kann.

Das Experiment beruht zudem auf einem permanenten Perspektivwechsel. Konkret heißt das, dass der Zuschauer in Echtzeit - in klassischer Frontalansicht, sprich Repräsentation - die Schüler agieren sieht und sie zugleich vertikal von „Oben“ bei ihren Handlungen beobachten kann. Unsere Frage ist die: Inwieweit spiegeln sich in den Spielen unbewusst oder bewusst Konstellationen, die in Bezug auf Prozesse innert der DNA und RNA stehen können? Natürlich moderieren die Schüler zugleich die molekulare Problematik.

Die PYTHAGORAS STRINGS sind ein Ensemble von Instrumentalsolisten um Thilo Thomas Krigar, der das Ensemble vor 20 Jahren gründete. Seit 1995 ist Dimitri Tombassov der Primarius des Ensembles. Sie interpretieren klassische und zeitgenössische Musik in unterschiedlichen Besetzungen auf internationalen Festivals. Als Namensgeber steht der griechische Philosoph und Musiker aus Samos als Schöpfer unseres Tonsystems für das Selbstverständnis des Ensembles. Seine Anschauungen wurde zur Grundlage der modernen Naturwissenschaften und Technik. Antike Quellen legen nahe, dass Pythagoras auch als Musiktherapeut wirkte.

Thilo Thomas Krigar (* 1961 in Berlin) komponiert u.a. Kammermusik und Musiktheater. In seinen Produktionen arbeitete er zusammen mit Otto Sander, Marianne Hoppe, Christian Brückner, Ursela Monn und Angela Winkler (u.a. "Odyssee" für Cultural Capital of Europe 1997 und „West-Östlicher Diwan“ für die Kulturhauptstadt Weimar 1999). Krigar war Dozent in unterschiedlichen Fachrichtungen, zur Zeit lehrt er an der Hochschule für Mediadesign in Berlin. Seit 2000 realisiert er „DNA in Concert“ beraten von Dr. Christoph Charlé und weiteren kreativen Wissenschaftlern („Nature“ Mai/2005).
Zahl, Intervall und Relation zentrale Ausgangspunke und Quellen für musikalische Organisation und Entwicklung, einer Musik des „Dazwischen“. Zwei Ansätze: 1) In der Selbstfortschreibung des Autopoesis entfalten sich die Themen wieder in Ihren „Ur-Sprung“ hinein (Henne und Ei). In der künstlerischen Arbeit ermöglicht dieses Prinzip Inhalten ihre Entfaltung aus sich selbst.
2) Polykontexturalität als übergeordnetes Paradigma seiner Ästhetik. Wirklichkeit wird u.a. als die Interaktion von verschiedenen Subjektivitäten (z.B.: Individuen) in Vermittlung zwischen verschiedenen Kontexten (z.B.: Welten oder Verortungen) begriffen und künstlerisch modelliert. Das virtuose „Springen“ zwischen verschiedenen Standpunkten ermöglicht eine Art von Blickwinkel-Veränderungs-Generator, der aus Erkenntnissen über die Wirklichkeit ein Hologramm modelliert. „Im Ur-Sprung sein“ bedeutet sich seiner Kreativität zu bemächtigen, sich selbst zu ermächtigen Wirklichkeit aus der ihr eigenen innewohnenden Thematik zu gestalten (Autopoesis). Das Kunstwerk selbst mündet wiederum in ein polykontexturales „Er-Leben“. Diese Arbeitsweise bildet eine Analogie zu den bisher bekannten gewordenen Prinzipien der DNA.

Vita : Carsten Ludwig
Geb. 1951 Stendal
Antrieb: Neugierde, Abschied und Umwidmung.
Im Fokus: Schwelle, Grenze, Membran, fluide Übergänge.
In der DDR Entwicklung eines nichtrealistischen Schauspielstils.
Anknüpfung an die Comedia dell Arte und der BIOMECHANIK von W.E. Meyerhold.
1992 Regisseur u. mitverantwortlich für die Programmgestaltung am Festspielhaus Hellerau Dresden bis 1999.
Entwicklung der SozArt -Technik an Hand von Erzählungen W. Sorokins:
u.a. 1993 „Der Obelisk“ /1994 „Ein Monat in Dachau“ in Zusammenarbeit mit Laienkünstlern und professionellen Schauspielern. Untersuchungen zum Phänomen des Homo Sowjeticus.
Zunehmendes Interesse an der Verknüpfung von wissenschaftlichen Erkenntnissen mit ästhetischen Problemen.
2002 „Lehrstück“ Hindemith / Brecht (K.Szene der Semperoper Dresden)
Zusammenarbeit mit dem Max Planck Institut Dresden
2004 „In der Strafkolonie“ Kafka/ Phil Glas (K.Szene der Semperoper Dresden) Zusammenarbeit mit dem Max Planck Institut Dresden
2005 Golem I (Festspielhaus Dresden hellerau)
2006 Golem II. – von der Natur der Technik